Saturday, April 9, 2016

#2 Harz aus Eis



Ist so 'ne Geschichte über 'nen Dichter im Harzgebirge. Eis soll Thema sein.


 …inspizierte der großgewachsene, von einem krummholzigen Skelettbau gepeinigte Dichter das Paket. Seiner Dichtkunst mangele es an Tiefe und Ideen, schrieb ein Kollege. Hilfe aus einem Paket? Es dampfte. Er auch. „Nur für Dichter – Freunde des balancierten Wortes“ hatte der Hersteller auf das Styroporpaket gepappt. Der Dichter zweifelte. An der Investition. Die Leidenschaft des Harzers zu Handwerkskunst war ihm vertraut. Kurz blickte er aus dem Fenster zu den Harzwäldern, deren Äste sorgsam den Schatten vor Sommerlicht schützten. Gute Arbeit, Schwarzkiefer, lobte er den Nadelforst. Seine Hand packte, endlich, den Deckel, er zog ihn ab, den Deckel, ein Schwall Frostwolke stieg ans Gesicht, der Deckel fehlt.
„Tatsache!“
Die Wolke verzog: Konturen einer durchsichtigen Maschine, spröd wie Glas, zeichneten sich zwischen den Wölkchen ab. Nur ein Dichter, hatte ihm der Schnitzmeister versichert, könne auf ihr tippen. Nur im Harz werden sie hergestellt. Nur im Harz seien Schnitzmeister und Sprachfreunde „eins mit der Ursuppe, in denen die Silben schwimmern…für Sie als Dichtergrafen ideal… zum Dichterfürsten werden Sie es schaffen…mit unserer Maschine…Sie verstehen…Herr Dichterfürst in spe, werden Sie stolzer Besitzer einer Eisschreibmaschine...Zahlung per Vorkasse. Kein Rückgaberecht.
Maschinenkälte! Neurologisches Vibrant! Die Hände, sie schüttelten! Zittern hoben sie die Mechanik des Eises aus der Kammer, stellte sie auf den Tisch, atmete ein, dachte an die Ursuppe, atmete aus und inspirierte sich an der Ursuppe. Wellen der Erregung suppten zu den Fingergliedern, suppten zurück, der Atem erregt! „Endlich in die Meisterklasse der Dichtkunst aufsteigen! Wie der Harz aus Norddeutschem Sumpf!“, rief der Dichter aus. Hört jemand zu? Nein! „Ideen! Kommt! Fliegt herbei wie Löwenzahnsamen im Mistral!“ Dann – ziehen seine Finger an die Tasten aus tiefstem Frost.

Ein Brocken und die Eisenbahn,
düst schmalspurig mit Affenzahn,
da lacht die Mutter zu dem Kind,
ach, wie schön, dass wir Harzer sind.

Nobelpreisklasse schaut das `dicht nicht aus, aber ich spüre, wie ich den roten Faden der Muse aufgelesen habe. Ein Goethe brauchte zwar keine Eisschreibmaschine und schillern tat das Gedicht nicht, aber aus dem Klopstock keimte auch kein Blumenstrauß. Nächstes  Gedicht.

Im Harz wandert ein Räubersmann,
der außer rauben gar nichts kann,
da räuben die Räuber den Räuber aus,
der erste geht dann ins Osteroder Heimathaus

Excellent et fantastique, konstatiert der Dichter, zog mit den Fingern über die Lippen, leckte die sie ab. Jede einzelne Ader - pulsiert! Brocken, Räuber, Harzwaldschatten, Mythen, aus denen sich neue Ideen speisen!

Ob im Ober- oder Unterharz,
die Tage hell, die Nächt so schwarz.

Herrlichst! Unterharz! Kein Ost- oder Westharz, sondern der Unterharz. Er sinnierte kurz von Harzwäldern, als der Buchstabe Qq in eine Pfütze platschte. Er trank einen Tee, betrachtete seine Dichterei. Vom Ee schlängelte ein kleines Rinnsal an Tauwasser zum Öö. Die Dichterei taut. Sie taut? Des Dichters Augen rissen auf. Die abgerundeten Vierecke seiner Tastatur schmolzen zu unförmigen Klumpen; Schmelzwasser tröpfelte von Tisch und sammelte sich am Boden. Er hämmerte auf das Aa, ein Test, aber das Aa reagierte lahm wie das Fließen eines Gletschers. Die Zeit zerrann. Die Tastatur folgte der Zeit in ihrem Handeln und Tun. Er rief poetischen Alarm aus, kippte den Tee auf ex. Die Nerven unter Spannung. Dann der Fokus, setze den Fokus, Dichterfürst: Bene und merde, Dichterfürst, bene und merde, teile und herrsche, bene und merde, literarisch auf einem guten Weg...jetzt…beruhige dich, atme tiefst ein, vergiss die Zeit, denke nach…ein Gedicht schreibst du noch, du bist warmgeschrieben (das Wörtchen warm versetzte ihm einen Stich), er sank den Kopf, bäumte sich auf, begann:

Ein Wölkchen Rauch aus eisern Nüstern,
Bis der Kringel sich verfängt,
Folgt des Drachens stummes Flüstern,
Atemlos sich niedersenkt.
Wasser tropfte.
Müd‘ die Iris uns betrachtet,
Taub und still der Atem zieht,
Funkenasche ihn beachtet,
Qualm aus seinem Körper flieht.
Wasser tropfte.
Als wär‘ ein jedes Schuppenglied,
Eingeäschert in sein Grab,
Der Drache schließt das Schuppenlid,
Ein Wölkchen Rauch an diesem Tag.
Wasser floss.

Die Maschine! Sie kollabierte unter dichterischer Wärme in zwei Firneishälften. „Zu feurig für eine Eisschreibmaschine!“, schrie der Dichter. „Ich dummer Brocken!“ Tastaturen schwammen als kleine Eisberge in einer Pfütze aus poetischer Suppe. Er las das Gedicht ein zweites Mal, sah Schwächen, zu überkandidelt. Er erklärte die Räuber zu seinem Meisterwerk. Die Pfütze des zerschmolzenen Drachen roch nach Kohlenstaub. Es blieb Sommer im Harz.

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