Thursday, April 14, 2016

#5 Dresden-Neustädter

Wir sind die vollgefressensten Kakerlaken der Zivilisation. Von Fressorgien träge gesättigt, schlagen wir Zeit nach Zeit nach Zeit tot. Nicht k.o. Tot. Wir haben keine Angst vor Morgen und keine von gestern. Die Rituale gleichen sich exakt.

Da lebe ich in einer Zwei-Zimmer-Wohnung mit einer selbstbewussten Mitbewohnerin, da schaue ich auf die Straße. Ich mag die gelbe Straßenbahn. Ich hasse die Farbe Gelb und dass Gelb mit Neid assoziiert wird, balsamiert mein Gewissen. Ich liebe das Liegen. Ich lausche den Schritten meiner Bewohnerin. In Momenten akutester Einsamkeit trete ich hinaus, trinke mit ihr einen Kaffee und lege mich wieder hin. Meine Bewohnerin fragt mich selten um Rat. Wie man Petersilie pflege? Ich weiß es nicht. Ich schaue auf die Straße und sehe die gelbe Bahn vorbeirauschen. Ja, Rauschen, manchmal rauscht der Elektromotor, kein Summen der Bienen und kein Stampfen der Ottomotoren. Meer.

Vor zwei Wochen erhöhte ich mein Bett, um aus dem Liegen auf die Straße zu schauen. Summ Summ. Die Holzklötze stammen aus Skandinavien, versicherte mir der Facharbeiter des Holzhandels.

Meine Bewohnerin schreibt manchmal komplizierte Arbeiten. Sie habe früher Pferdefachwirtin werden wollen. Ein komplexer Beruf voller Auf-und-Abs. Pferde mochte sie, Fach passte zur Streberin, Wirtin aber dörrte die Leidenschaft aus. Ich nicke dann, nippe am Kaffee und stelle mir die Reise Auf-und-Ab als Einfache Fahrt vor. Nee, One-Way-Ticket, das klingelt neustädtischer. Out of the door tritt ihr Bruder heraus, ein Mechaniker, Normen als Gehirnstruktur. Er lächelt wenig, mischt loyal Müsli und betrachtet mich irritiert als Oberaffen eines verfallenden Zoos. Sympathischer Mann mit Frau, Auto, Beruf und Schichtarbeit. Vielleicht habe ich ´ne Bruchzahl an Frau. Aber ein Semesterticket, Beruf…Ruf…der Ruf der Wildnis. Schichtarbeit? Morgen schon Abgabe der Master-Desaster-Abschlussarbeit?

Auf-und-Ab! Ich versuche das „und“ in meinem Leben zu verorten. Manchmal wühle ich in diesem Brei aus Vergangenheit. Wie eine Wühlmaus. Oder ein Mixer. Meine Bewohnerin liebt Küchenpsychologie. Sie wollte mein Leben neu vermessen. Sie glaubt, man könne einen Regenwald mit Trigonometrie erklären. Meine Mitbewohnerin hasst mich inständigst. Ich spüre das. Dafür liebe ich sie. Summ Summ.

Saturday, April 9, 2016

#4 Eigentlichen passen wir zusammen

ge-dicht? ge-undicht? es sickern worte aus dem ge-hirn. jaja, der liebeskummer als quelle der inspiration. jaja, aber mit ego und ironie bestreitet der moderne mensch problemlos jedes problem seines etwas über-technologischen daily life.


Eigentlich passen wir zusammen,
sagst du und legst tausende Welten in das Wort,
die Lippen trocken, die Nächte lang,
du weinst. die kippe verbrennt
das Eigentlich ächzt unter der Schwere deiner Welten,
ich will es vernichten, ausradieren, tu es
Passen wir zusammen. Fragezeichen
Ich kapitulier', aber – hej

Eigentlich passen wir zusammen,
wir waren Kometen,
gefangen von Feldern der Gravitation,
zur Urzeit des Sonnensystems,
unser Schweif schwebt im luftleeren Raum,
die Astronomen bestaunen mit Teleskopen,
die nicht länger sind als eine Beziehung dauern kann,
ich resignier', aber – hej

Eigentlich passt ihr zusammen,
stellen Freundesfreunde fest,
vermelden sie von Außenposten,
jenseits tausender Horizonte,
schicken Whatsapp-messages an mich und dich,
seltsam hohl und unverstanden
deine Chucks? Im Pappkarton, hinten rechts,
ich bleibe diszipliniert, aber – hej

Eigentlich passen sie zusammen,
führen einen philosophischen Diskurs,
springen von Ebene zu Ebene rational,
spüren, was sie wollen und wissen, was sie wollen,
und brechen den Willen mit sprödem argument
sie sind erstaunt, das iphone bimmelt,
in endloser weite der einzige ton.
Er läuft fort, aber – hej

Eigentlich passen wir zusammen,
klar, die zeichen, morgenröte, flug der schwalben,
habe ich gesehen, erkannt
schwarze sonne, manchmal fett, manchmal mager,
habe ich gesehen, erkannt
aber an die substanz habe ich geglaubt,
den klebstoff zwischen uns
Ich bin verblendet, aber – hej

Eigentlich passt du zu mir,
sagst du. Die kästchen ausgefüllt,
das lieblingslied der lieblingsband angestimmt,
grobe knoten gelöst. Tickets für das festival
Ich evakuiere meinen planeten,
suche wasser. Finde wasser. Bin froh,
belüge mich in die unendlichkeit,
ich lüge, aber – hej

Eigentlich passen wir zusammen,
ich bestellte eine beziehung als pizza quattro stagioni,
ich konstruierte diese unwahre wahre welt,
jetzt schlägt das reale mit entwaffnender wucht,
ich will dich leben sehen,
ich war der ingenieur für deinen palast. zimmerlos.
blindlings verschossen um zigtausend kilometer
Ich hasse, aber – hej?

#3 Der Drache

Heute ein Gedicht, woooooau, über das Fabelwesen "Drachen". Sympathische Genossen mit Abneigung gegen Brandschutzordnungen.


Ein Wölkchen Rauch aus eisern Nüstern,
Bis der Kringel sich verfängt,
Folgt des Drachens stummes Flüstern,
Atemlos sich niedersenkt.

Müd‘ die Iris uns betrachtet,
Taub und still der Atem zieht,
Funkenasche ihn beachtet,
Qualm aus seinem Körper flieht.

Als wär‘ ein jedes Schuppenglied,
Eingeäschert in sein Grab,
Der Drache schließt das Schuppenlid,
Ein Wölkchen Rauch an diesem Tag.

#2 Harz aus Eis



Ist so 'ne Geschichte über 'nen Dichter im Harzgebirge. Eis soll Thema sein.


 …inspizierte der großgewachsene, von einem krummholzigen Skelettbau gepeinigte Dichter das Paket. Seiner Dichtkunst mangele es an Tiefe und Ideen, schrieb ein Kollege. Hilfe aus einem Paket? Es dampfte. Er auch. „Nur für Dichter – Freunde des balancierten Wortes“ hatte der Hersteller auf das Styroporpaket gepappt. Der Dichter zweifelte. An der Investition. Die Leidenschaft des Harzers zu Handwerkskunst war ihm vertraut. Kurz blickte er aus dem Fenster zu den Harzwäldern, deren Äste sorgsam den Schatten vor Sommerlicht schützten. Gute Arbeit, Schwarzkiefer, lobte er den Nadelforst. Seine Hand packte, endlich, den Deckel, er zog ihn ab, den Deckel, ein Schwall Frostwolke stieg ans Gesicht, der Deckel fehlt.
„Tatsache!“
Die Wolke verzog: Konturen einer durchsichtigen Maschine, spröd wie Glas, zeichneten sich zwischen den Wölkchen ab. Nur ein Dichter, hatte ihm der Schnitzmeister versichert, könne auf ihr tippen. Nur im Harz werden sie hergestellt. Nur im Harz seien Schnitzmeister und Sprachfreunde „eins mit der Ursuppe, in denen die Silben schwimmern…für Sie als Dichtergrafen ideal… zum Dichterfürsten werden Sie es schaffen…mit unserer Maschine…Sie verstehen…Herr Dichterfürst in spe, werden Sie stolzer Besitzer einer Eisschreibmaschine...Zahlung per Vorkasse. Kein Rückgaberecht.
Maschinenkälte! Neurologisches Vibrant! Die Hände, sie schüttelten! Zittern hoben sie die Mechanik des Eises aus der Kammer, stellte sie auf den Tisch, atmete ein, dachte an die Ursuppe, atmete aus und inspirierte sich an der Ursuppe. Wellen der Erregung suppten zu den Fingergliedern, suppten zurück, der Atem erregt! „Endlich in die Meisterklasse der Dichtkunst aufsteigen! Wie der Harz aus Norddeutschem Sumpf!“, rief der Dichter aus. Hört jemand zu? Nein! „Ideen! Kommt! Fliegt herbei wie Löwenzahnsamen im Mistral!“ Dann – ziehen seine Finger an die Tasten aus tiefstem Frost.

Ein Brocken und die Eisenbahn,
düst schmalspurig mit Affenzahn,
da lacht die Mutter zu dem Kind,
ach, wie schön, dass wir Harzer sind.

Nobelpreisklasse schaut das `dicht nicht aus, aber ich spüre, wie ich den roten Faden der Muse aufgelesen habe. Ein Goethe brauchte zwar keine Eisschreibmaschine und schillern tat das Gedicht nicht, aber aus dem Klopstock keimte auch kein Blumenstrauß. Nächstes  Gedicht.

Im Harz wandert ein Räubersmann,
der außer rauben gar nichts kann,
da räuben die Räuber den Räuber aus,
der erste geht dann ins Osteroder Heimathaus

Excellent et fantastique, konstatiert der Dichter, zog mit den Fingern über die Lippen, leckte die sie ab. Jede einzelne Ader - pulsiert! Brocken, Räuber, Harzwaldschatten, Mythen, aus denen sich neue Ideen speisen!

Ob im Ober- oder Unterharz,
die Tage hell, die Nächt so schwarz.

Herrlichst! Unterharz! Kein Ost- oder Westharz, sondern der Unterharz. Er sinnierte kurz von Harzwäldern, als der Buchstabe Qq in eine Pfütze platschte. Er trank einen Tee, betrachtete seine Dichterei. Vom Ee schlängelte ein kleines Rinnsal an Tauwasser zum Öö. Die Dichterei taut. Sie taut? Des Dichters Augen rissen auf. Die abgerundeten Vierecke seiner Tastatur schmolzen zu unförmigen Klumpen; Schmelzwasser tröpfelte von Tisch und sammelte sich am Boden. Er hämmerte auf das Aa, ein Test, aber das Aa reagierte lahm wie das Fließen eines Gletschers. Die Zeit zerrann. Die Tastatur folgte der Zeit in ihrem Handeln und Tun. Er rief poetischen Alarm aus, kippte den Tee auf ex. Die Nerven unter Spannung. Dann der Fokus, setze den Fokus, Dichterfürst: Bene und merde, Dichterfürst, bene und merde, teile und herrsche, bene und merde, literarisch auf einem guten Weg...jetzt…beruhige dich, atme tiefst ein, vergiss die Zeit, denke nach…ein Gedicht schreibst du noch, du bist warmgeschrieben (das Wörtchen warm versetzte ihm einen Stich), er sank den Kopf, bäumte sich auf, begann:

Ein Wölkchen Rauch aus eisern Nüstern,
Bis der Kringel sich verfängt,
Folgt des Drachens stummes Flüstern,
Atemlos sich niedersenkt.
Wasser tropfte.
Müd‘ die Iris uns betrachtet,
Taub und still der Atem zieht,
Funkenasche ihn beachtet,
Qualm aus seinem Körper flieht.
Wasser tropfte.
Als wär‘ ein jedes Schuppenglied,
Eingeäschert in sein Grab,
Der Drache schließt das Schuppenlid,
Ein Wölkchen Rauch an diesem Tag.
Wasser floss.

Die Maschine! Sie kollabierte unter dichterischer Wärme in zwei Firneishälften. „Zu feurig für eine Eisschreibmaschine!“, schrie der Dichter. „Ich dummer Brocken!“ Tastaturen schwammen als kleine Eisberge in einer Pfütze aus poetischer Suppe. Er las das Gedicht ein zweites Mal, sah Schwächen, zu überkandidelt. Er erklärte die Räuber zu seinem Meisterwerk. Die Pfütze des zerschmolzenen Drachen roch nach Kohlenstaub. Es blieb Sommer im Harz.

#1 Wasser


Steigt aus Schornstein in der Nacht,
Geschrei und Polter hinter Gassen, vom
Monolith der Neuen Zeit gefasst, an
Gleisen vor Gleisen, stahlkalt geschliffen, wenn
Ich bleib.

Den Mantelkragen hochgesetzt,
Gemessen am Zeitstrahl, tot,
Am Bahnhof die Flaggen kreischen, als,
Paraden einen Ring zuziehen, denn
Ich bleib.

Spalte, spalte, aus rohem Wort,
verhall die Welle am Brückenkopf, wo,
die Kreuze uns die Wege weisen, da,
Zerspringt das Glas zu Asche -
Ich bleib.